Alles gleichzeitig machen Ist unser Gehirn multitaskingfähig?

Von: Constanze Alvarez

Stand: 07.05.2024

Immer alles erledigen und am besten alles gleichzeitig - wisst ihr, dass das zu Burnout und Depressionen führen kann? Obwohl das erwiesen ist, hat sich an den Ansprüchen im Job wenig geändert. Darauf solltet ihr achten.

Zu viel Multitasking ist nicht gesund. Es verursacht Stress und kann auf Dauer zu einem Burnout oder zu einer Depression führen. Im Bild: Ein Mann sitzt am Schreibtisch vor dem Computer, hält in einer Hand eine Hantel in der andern ein Stück Kuchen. | Bild: picture alliance / Zoonar | Khosrow Rajab Kordi

Definition Multitasking: Ein Begriff aus der Computerwelt

Das Wort Multitasking stammt ursprünglich aus der Informatik. Durch das Betriebssystem kann ein Computer viele verschiedene Aufgaben auf einmal lösen. Während wir beispielsweise einen Text schreiben, kann der PC im Hintergrund gleichzeitig Fotos herunterladen und Musik abspielen. Das menschliche Gehirn funktioniert anders, es rechnet nicht, es selektiert.

Wir können zwar bestimmte Dinge gleichzeitig tun, zum Beispiel kochen und uns dabei per Video mit Freunden unterhalten. Ganz bei der Sache werden wir aber bei keiner der beiden Tätigkeiten sein. Denn das Hirn kann sich nur auf eine Aufgabe wirklich gut konzentrieren. Das belegen eine schwedische Studie, die 2016 im Fachmagazin "Frontiers in Human Neuroscience" erschienen ist und viele weitere Studien zum Thema Multitasking.

Bei der schwedischen Studie mussten die Teilnehmer visuelle Aufgaben wie eine schriftliche Prüfung in ruhiger und in unruhiger Umgebung absolvieren. In dieser Zeit machten die Forscher Aufnahmen der Gehirne. Dabei stellten sie fest: Je komplexer die Aufgabe, desto schwächer fiel die Reaktion des Gehirns auf die Umgebungsgeräusche aus. Versuchen wir also ein Problem zu lösen, drücken wir die zwei anderen Aufgaben, die parallel anstehen, automatisch weg. Das kostet nicht nur Kraft. Es kann auch lebensgefährlich sein: Nicht umsonst ist Telefonieren beim Autofahren verboten.

Video: Was passiert beim Multitasking?

Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis: Wie unser Gehirn Informationen abspeichert

Die Siluette eines weiblichen Kopfs, der voller post-it-Zettel voll ist.  | Bild: picture alliance / Zoonar | Firn

Folgen von Multitasking: Es gibt eine mentale Belastungsgrenze - aber wo genau sie liegt, da sind sich die Forscher noch nicht einig.

"Um etwas Neues im Arbeitsgedächtnis abzuspeichern, muss ich mich dem bewusst zuwenden, am besten mit allen Sinnen", erklärt Andrea Hufnagel, Leiterin des Fachbereichs Arbeits- und Gesundheitspsychologie bei ASAM praevent in München. Da das Arbeitsgedächtnis nur über eine begrenzte Aufnahmekapazität verfügt, wandern die Informationen ins Langzeitgedächtnis. Dort versucht das Gehirn, sie zu verankern und dazu braucht es Anknüpfungspunkte. "Je mehr, desto besser", sagt die Arbeitspsychologin: ."Wenn wir beispielsweise eine Bergtour mit einer Freundin machen und dabei unaufhörlich quatschen, werden wir den Weg vermutlich beim nächsten Mal nicht wieder finden", so Andrea Hufnagel. "Weil ich bestimmte Abzweigungen nicht bemerkt, oder einen markanten Baum übersehen, die Steigung nicht erlebt, nichts von der Natur mitbekommen habe, und so weiter."

Ein ähnlicher Informationsverlust passiert auch in der Arbeit. Ein Pfleger, der während eines Patientengesprächs Daten in den Computer eingibt, wird nicht in der Lage sein, wichtige Details und Zwischentöne wahrzunehmen. Die sind aber notwendig, um die Arbeit gut zu machen. Das Gleiche gilt für Mitarbeiter- oder Kundengespräche. Dieser Informationsverlust erzeuge zusätzlichen Stress, sagt Andrea Hufnagel: "Wenn ich denke: Oh Gott, ich kann mir nicht mehr alles merken, jetzt habe ich was verpasst!" Dann entstehe das Gefühl, unseren Aufgaben nicht mehr gerecht zu werden.

Multitasking: Wie die Digitalisierung der Arbeitswelt das Problem verschärft

Symbolbild: Eine Frau  | Bild: colourbox.com

Gerade Frauen geraten im Alltag schnell in den Multitasking-Modus: zwischen Familie, Beruf und dem Versuch, auch noch Freundschaften zu pflegen.

Wer ständig zwischen mehreren Aufgaben hin und her jonglieren muss, leistet weniger und ist meistens unzufriedener mit der eigenen Arbeit. Das macht sich auch in der Wirtschaftsbilanz der Unternehmen bemerkbar. Zumindest größere Unternehmen versuchen deshalb verstärkt, an den negativen Arbeitsbedingungen etwas zu ändern.

Trotzdem hat das Multitasking in vielen Bereichen vor allem durch die Pandemie stark zugenommen. Allein das ständige Hin- und Herswitchen zwischen den digitalen Kommunikationskanälen ermüden das Gehirn. Denn es muss sich jedes Mal auf einen anderen Inhalt konzentrieren und das kostet Zeit und Energie. "Weil es technisch möglich ist, denken manche Menschen, sie könnten an zwei Videocalls gleichzeitig teilnehmen, aber das ist natürlich nur scheinbar so", erzählt Arbeitspsychologin Andrea Hufnagel. In Wirklichkeit sei es Zeit- und Energieverschwendung, denn niemand könne bewusst seine Aufmerksamkeit auf zwei Meetings gleichzeitig richten.

Wie sehr sich das Problem durch die Digitalisierung der Arbeitswelt verschärft hat, zeigt eine Studie, die Microsoft 2021 unter seinen Mitarbeitern durchführte. Um einen Einblick zu bekommen, wie oft die Angestellten während der Videokonferenzen in den Multitasking-Modus fielen, untersuchte der Konzern die Protokolle der Aktivitäten von etwa 100.000 Mitarbeitern in den USA. Die Daten stammten aus dem Zeitraum zwischen Februar und Mai 2020, als Microsoft seine Belegschaft komplett auf Homeoffice umstellte. Das Ergebnis: Während 30 Prozent der Videokonferenzen wurden Emails verschickt. Allerdings fanden bei kurzen Besprechungen von 20 Minuten deutlich weniger Multitasking statt, als bei Sitzungen, die länger als 80 Minuten dauerten.

Mehrere Sachen gleichzeitig machen: Sind Frauen besser beim Multitasking?

Es ist ein Gerücht, dass Frauen besser im Multitasking sind als Männer. Männer und Frauen sind beim Multitasking laut dieser Studie gleich schlecht. In der Untersuchung konnten die Studienautoren um Patricia Hirsch unter gleichen, genau definierten Arbeitsbedingungen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Multitasking feststellen - weder wenn Dinge gleichzeitig erledigt wurden ("dual tasking"), noch wenn zwischen mehreren Aufgaben hin und her gewechselt wurde ("task switching").

Stressreport Deutschland: Jeder fünfte Arbeitnehmer leidet unter Multitasking

Infografik: Arbeitsintensität, Belastung und psychosomatische Beschwerden. | Bild: BR

Zu viel Multitasking? Der Stressreport Deutschland von 2019 zeigt, wie viele Menschen an der Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiten.

Termin- und Leistungsdruck und ständige Unterbrechungen: Laut dem 2019 erschienenen Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) fühlte sich jeder Dritte der knapp 18.000 Befragten davon belastet. Jeder Fünfte gab an, unter Multitasking zu leiden, und jeder Siebte sah sich an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Während der Pandemie dürften die Werte weiter gestiegen sein. Hierzu gibt es aber noch keine umfassende Auswertung der Bundesanstalt.

Multitasking: Wie ihr eure Arbeit umorganisieren könnt

Eine Börsenmaklerin sitzt vor fünf Bildschirmen und behält die Kurse im Auge. | Bild: picture alliance / imageBROKER | Stefan Kiefer

Multitasking im Job: Wer wie diese Börsenmaklerin über Stunden mehrere Bildschirme im Auge behalten muss, sollte regelmäßig Pausen machen.

Ärzte, Pfleger, Menschen, die in der Logistikbrache arbeiten, Operation-Manager in Flugunternehmen, Mitarbeiter im IT-Support, Kita-Angestellte - in diesen Berufen kommen Arbeitnehmer kaum aus dem Multitasking-Modus raus. Die Gefahr, in eine Erschöpfung hineinzugeraten, bis hin zum Burnout, ist dementsprechend hoch. In vielen Fällen können die Arbeitgeber jedoch viel tun, um die Situation zu entschärfen.

"Zum Beispiel können Führungskräfte zusammen mit den Angestellten ermitteln, wie oft und woher Unterbrechungen und Störungen herkommen", erklärt Andrea Hufnagel. Dann könne man gemeinsam Ideen entwickeln, wie sich diese vermeiden lassen. "Man kann Servicezeiten festlegen, oder Räume einrichten, in die man sich zurückziehen kann, um in Ruhe zu arbeiten," sagt Andrea Hufnagel.

Manche Betriebe stellen bestimmte Spielregeln für die Kommunikation auf: Zeitlich begrenzte Sitzungen, eine effiziente Aufgabenteilung, bestimmte Slots, in denen E-Mails gecheckt werden, Absprachen, bis wann auf eine E-Mail reagiert werden muss, ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Wichtig sei vor allem, auf die Belange der Mitarbeiter zu achten und konkrete Ziele formulieren. Was wollen wir erreichen? Was ist realistisch?

In Berufen, in denen man das Telefon nicht umleiten darf oder ständig online sein muss, sollte man verstärkt auf Pausen achten. Gibt es genug Möglichkeiten, welche einzulegen? Und wie werden diese Pausen genutzt? Auch darüber sollten Angestellte aufgeklärt werden. Wer beim Mittagessen pausenlos auf das Handy starrt, hat wenig Möglichkeit, neue Kraft zu schöpfen.

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Tipps gegen Stress: Wie ihr Multitasking reduzieren könnt

  • Prüft, ob sich die eigene Arbeit besser organisieren lässt.
  • Teilt euch die Aufgaben in einzelne, kleinere Arbeitsschritte auf.
  • Schraubt das Arbeitstempo herunter.
  • Richtet euch störungsfreie Zeiten ein, indem ihr zum Beispiel euer Telefon umleitet und die Benachrichtigungsfunktion ausschaltet.
  • Schafft euch Ruhezeiten, zum Beispiel durch ein Schild an der Tür: "Bitte nicht stören!"
  • Geht zwischendurch mal raus, bewegt euch, geht zum Beispiel um den Block spazieren.
  • Findet Hobbys bzw. Tätigkeiten, die ihr gerne macht und in die ihr euch vertiefen könnt, wie beispielsweise Malen, Musikmachen, Sporttreiben.
  • Lernt eure eigenen Bedürfnisse kennen, etwa durch einen Achtsamkeitskurs.
  • Schraubt die Anforderungen an euch selbst herunter, nehmt den Druck heraus.
  • Schafft Ordnung in eurem Arbeitsumfeld. Das erleichtert das Arbeiten.
  • Setzt euch eine Deadline, wann ihr mit dem Arbeiten aufhört und genießt eure freie Zeit.

Schutz vor Burnout und Depression: Was gegen Multitasking hilft

Eine Frau sitzt auf einer Dachterrasse und übt im Sonnenuntergang Yoga. | Bild: picture alliance / Zoonar | Dasha Petrenko

Sich auf den Moment konzentrieren mag zunächst schwer erscheinen, zahlt sich aber aus.

Gerade ehrgeizige Menschen, sogenannte Performer, setzen sich selbst stark unter Druck. Immer auf Abruf stehen, der oder die Schnellste sein, das hebt das Selbstwertgefühl, man fühlt sich lebendig und gebraucht. Doch diese Art mit den eigenen Ressourcen umzugehen ist auf Dauer schädlich. "Unter anderem, weil wir uns dadurch die Möglichkeit nehmen, Flow zu erleben", erklärt Arbeitspsychologin Andrea Hufnagel. Dieses berauschende Gefühl, sich in eine Sache zu vertiefen, alles andere zu vergessen und darin aufzugehen.

Wenn das Hirn ständigen Reizüberflutungen ausgesetzt ist, wird es immer schwieriger abzuschalten. Manche Menschen können abends nicht einschlafen, weil sie unbewusst das Gefühl haben, eine Fülle an Aufgaben nicht zu Ende geführt zu haben. Durch anhaltende Schlafstörungen kommt zum Stress noch die Übermüdung hinzu. All das kann auf Dauer zum Burnout führen oder zur Depression.

Um aus dieser Falle wieder rauszukommen, brauchen viele Menschen Hilfe. Dafür gibt es Kuren und Kurse, in denen man Achtsamkeitsübungen, Quigong, Yoga, etc., lernt. Viele finden dadurch wieder ins Gleichgewicht. Doch eine Behandlung von mehreren Wochen reicht häufig nicht aus, um einen Rückfall zu vermeiden. Dazu müssten wir unseren Lebensstil ändern.

Doch das braucht Training. Dazu gehört, dass man den hochtourigen Arbeitsmodus nicht in der Freizeit fortsetzt. Viele Ratgeber empfehlen, öfter mal nichts zu tun. Doch gerade wenn wir plötzlich nichts tun, merken wir, wie erschöpft wir sind, wie leer wir uns fühlen. Ein unangenehmer Zustand. Da greifen viele lieber wieder gleich zum Handy oder legen bei der Arbeit noch eine Schippe drauf, um sich davon abzulenken. "Nichtstun ist etwas, was wir erst wieder lernen müssen", erklärt Arbeitspsychologin Andrea Hufnagel. Das sei wie beim Joggen. Da werden am Anfang auch nicht gleich Endorphine ausgestoßen, das sei eher mühsam. "Die positiven Effekte entwickeln sich erst mit der Zeit."

Sendungen: Mehr zum Thema Multitasking und Hirnforschung